Daily Archives: April 12, 2009

Predigt zum Oster-Sonntag von Bischof Dr. Wolfgang Huber am 12. April 2009

Predigt zum Oster-Sonntag von Bischof Dr. Wolfgang Huber am 12. April 2009

Bischof Dr. Wolfgang Huber

Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

Predigt am Ostersonntag

Berliner Dom, 12. April 2009

(Markus 16,1-8)

I.
Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich.

Liebe Gemeinde, was für ein Osterevangelium in diesem Jahr! Kein österlicher Freudengesang. Vom Osterlachen über die Ohnmacht des Todes ganz zu schweigen. Die Auferweckung des Toten hat sich schon vollzogen, und trotzdem: Zittern und Entsetzen.

Angstvoll waren die Frauen zum Grab gekommen. Früh am Morgen des Tages hatten sie sich aufgemacht. Sie wollen wenigstens dem Leichnam Jesu eine letzte Ehre erweisen. Innerlich sind sie unfrei; gefangen von Furcht und Sorge. Fragen quälen sie: Wie sollen wir an Jesus herankommen? Wie werden wir den Stein beiseite schaffen können?
Weiter brauchen wir ihrem Weg gar nicht zu folgen. Denn es ist dieser Stein, der unser Osterfest mit dem österlichen Weg der Frauen verbindet. Es ist der Stein der Sorge und der Fels quälenden Fragens, der sich in diesem Jahr wie ein schier unüberwindbares Hindernis vor die Zukunft geschoben hat.

Jeder von uns kennt Beispiele dafür. Nur eines unter vielen: Michael war leitender Mitarbeiter einer bekannten Firma. Seinen Arbeitsplatz hielt er für absolut krisenfest. Er baute für sich und seine Familie ein Haus. Den Kindern fehlte es an nichts. Dann brach die Finanz- und Wirtschaftskrise in unser Land ein und erreichte wie ein Dieb in der Nacht auch seine Firma. Seine Überstunden häuften sich, Arbeitseinsätze ohne Feierabend waren an der Tages- und schließlich auch an der Nachtordnung. Alles wurde versucht, um den Fall der Firma zu verhindern. Doch schließlich, Mitte Januar, wird er zum Gespräch mit dem Chef geladen: „Nehmen Sie es bitte nicht persönlich. Wir wissen Ihre herausragende Kompetenz zu schätzen. Wir haben es uns nicht leicht gemacht.“

Michael wird entlassen. Nun bezieht er ein monatliches Arbeitslosengeld von der Agentur für Arbeit. Der Dienstwagen ist weg, die Sicherheit auch. Die monatlichen Raten für das Haus drücken ganz anders als vorher. Seine Frau – immerhin – arbeitet noch in Teilzeit als Bibliothekarin. Doch die Familie spürt rasch, wie das Geld knapp wird. Auch für die Kinder ist nicht mehr alles drin, was eben noch selbstverständlich war. Den geplanten Osterurlaub hat die Familie gestrichen. „Das können wir uns dieses Jahr nicht leisten“, erklären die Eltern den Kindern. „Und wie wird es im Sommer? Und nächstes Jahr?“, fragen die Kinder zurück.
Die Eltern wissen nicht, wie es weitergehen wird. Wie können sie ihren Kindern sagen, dass sie machtlos sind?

II.
Ostern 2009 ist voll von derartigen Geschichten, die wie Felsen den Weg versperren, Sorgengeschichten, die wie Steine das Licht der Hoffnung verdunkeln. Menschen gehen durchs Dunkel, ungewiss ist der nächste Schritt, sie müssen aufpassen, dass sie nicht stolpern. Ähnlich wie bei einem tastenden Wandel durch die Finsternis verhält es sich mit der Gemütslage in unserem Land. Man wagt den nächsten Schritt, doch man weiß nicht, wohin er führt. Sicher ist nur: Stehen bleiben kann man nicht. Wie muss man gehen, ohne zu straucheln? Wie passen Vorsicht und Entschlossenheit zusammen?
Seit Monaten bestimmt eine beispiellose Krise die Weltöffentlichkeit.

Ein exportabhängiges Land wie Deutschland betrifft sie besonders hart. In den Auftragsbüchern vieler Firmen herrscht gähnende Leere; viele sind froh, wenn es bei Kurzarbeit bleibt. Fragt man die Experten nach der Zahl der Arbeitslosen, mit der zu rechnen sei, hüllen sie sich in vielsagendes Schweigen. Bange Fragen kreisen in den Köpfen, und die Ahnung greift Raum, dass eine lange Periode beständig wachsenden Wohlstands an ein Ende kommt. „Sind die Leute von der Krise betroffen, fallen sie teilweise in eine richtige Schockstarre, als wäre das Licht ausgegangen.“ So beschreibt es ein Wirtschaftspsychologe. Pfeiler des Lebens, die unverrückbar schienen, tragen nicht mehr. Kaum Hoffnung. Nirgends?

Zahllose Menschen haben sich wie die drei Frauen am Morgen des Ostersonntags aufgemacht. Sie sind auf der Suche nach einer neuen Ordnung. Sie wollen festen Boden unter den Füßen. Sie halten Ausschau nach einem Grund, der ihnen Sicherheit und Verlässlichkeit bietet, unabhängig von Geldsorgen und Wirtschaftskrise. Das Denken in kurzfristigen Gewinnerwartungen und Quartalsberichten soll abgelöst werden von langfristigen Prognosen und von nachhaltigen Strategien. Der Sinn von milliardenschweren Zahlungen für die künstliche Verlängerung einer Wirtschaftslogik, die sich als nicht tragfähig erwiesen hat, leuchtet immer weniger ein. Die Menschen fragen vielmehr nach Lebensformen und nach Ausgestaltungen wirtschaftlichen Handelns, die Nachhaltigkeit versprechen. Sie sehnen sich nach einem Wandel der Werte, nach dem Fest der Verwandlung.

III.
Maria von Magdala, die andere Maria und Salome erreichen das Grab des Totgeglaubten. Zu ihrer Überraschung finden sie den Stein beiseite gewälzt. Der Fels, der ihnen unüberwindlich erschien, die Sorge, die sie gedrückt hielt, ist beiseite geräumt. Jesus, den sie in der Grabeshöhle vermuten, ist gar nicht mehr dort. An der Stelle, an der sie mit dem Ende rechneten, erwartet die Frauen Neues. Die dunklen Ahnungen erfüllen sich nicht. Die Spielregeln der alten Ordnung sind durchkreuzt: der, der tot war, ist nicht am vorgesehenen Ort.

Statt seiner wartet ein Bote Gottes mit einer Nachricht auf die Ankömmlinge: „Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier.“

Unmerklich hat sich hinter dem Fels der Fragen und hinter den Steinen der Sorge eine neue Bewegung in Gang gesetzt. Eine neue Perspektive tut sich auf. „Er ist auferstanden, er ist nicht hier.“ Der Tod hat Jesus von Nazareth nicht festhalten können. Aus der dunklen, muffigen Grabeshöhle heraus geht es in den neuen, vom Sonnenlicht durchfluteten Tag. Der Glaube trägt. Es gibt die Hoffnung auf eine neue Ordnung. Es gibt eine Form des Miteinander, die verlässlich ist, das Miteinander aus Liebe. Es gibt ihn, den verlässlichen Grund.

IV.
Zu diesem Weg aus der Angst in die Gewissheit lädt Ostern 2009 uns alle ein. Dass wir durch Angst gelähmt werden, ist die größte Gefahr der gegenwärtigen Krise; eine christliche Lebenshaltung ist indessen dadurch geprägt, dass die Hoffnung stärker ist als die Angst. Dass wir die Verführbarkeit des Menschen ignorieren, hat zu den Irrwegen auf den Finanzmärkten maßgeblich beigetragen; christliches Denken rechnet dagegen nüchtern mit dieser Verführbarkeit und tritt dafür ein, dem Machtmissbrauch mit klaren Regeln zu wehren. Dass wir dabei nicht andere zu Sündenböcken machen, sondern auch die eigenen Fehler einräumen, gehört jedoch ebenso zur christlichen Lebenshaltung. Vor allem aber ist sie dadurch bestimmt, dass sie nicht nur auf den eigenen Nutzen schaut, sondern sich an der Liebe zum Nächsten orientiert.

Glaube, Hoffnung und Liebe sind die Summe der christlichen Existenz. Wer glaubt, lässt sich von Zuversicht bestimmen; wer hofft, überlässt der Sorge nicht das letzte Wort; wer liebt, gibt keinen Menschen auf. Das ist der Geist von Ostern. Von Anfang an ist Ostern deshalb das wichtigste Fest der Christenheit. Dieses Fest feiert die Auferweckung des Gekreuzigten, den Triumph des Lebens über den Tod, den Sieg der Hoffnung über die Angst.

V.
Unsere Mitmenschen haben Zuversicht verdient; wir Christen sind ihnen den Geist des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe schuldig. Unsere Kinder haben ein Recht darauf, dass wir unser Handeln vor ihnen verantworten. Menschen, die den Mut haben, in aller Öffentlichkeit den Ernst der Situation zu beschreiben, wecken Vertrauen – und was würde heute dringender gebraucht als Vertrauen! Transparenz und Verantwortlichkeit müssen wieder Platz greifen, vor allem in der internationalen Finanzordnung. Dazu wurde Wichtiges zwischen den zwanzig wirtschaftsstärksten Ländern der Welt verabredet.

Dass bei den Überlegungen die Bedürfnisse der Armen und die Sorge um eine nachhaltige Entwicklung eine erhebliche Rolle spielten, habe ich dankbar wahrgenommen. Nun müssen konkrete Schritte folgen. Es bleibt zu hoffen, dass die guten Ansätze dabei nicht durch den Eigennutz einzelner Länder geschwächt werden.

VI.
Michael und seine Frau haben ihre Kinder ins Vertrauen gezogen. Sie haben mit ihnen über den Wert des Geldes gesprochen und über Werte, die mit Geld nicht zu kaufen sind. Miteinander denken sie darüber nach, wie sie als Familie die Lage stemmen können. Sie wollen zusammenstehen; das ist ihnen jetzt bewusst geworden. Der Fels des Fragens löst sich dadurch nicht einfach auf. Aber die Familie hat miteinander eine Basis entdeckt, die trägt, einen Halt, der ihre gemeinsame Zuversicht bestärkt.
Auf den auferstandenen Christus richtet sich ein Glaube, der auch den Stürmen standhält. Gottes neue Ordnung weckt eine Hoffnung, in der sich auch das Stein-schwere, das unsere Seelen belastet, in neues Leben wandelt.

Wenn Gottes Liebe uns packt, wird sie in uns lebendig und wirksam. Gott weckt in uns Mut und Freude, die sich nicht mehr umkehren lassen. Denn er hat die entscheidende Wende vollzogen: „Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!“ Halleluja. Amen.

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Wolfgang Huber: Die Osterbotschaft überwindet die Angst

„Fest der Verwandlung und der Nächstenliebe“

Wolfgang Huber: Die Osterbotschaft überwindet die Angst

Hannover. (red). 12. April 2009. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, hat einen heilsamen Mentalitätswandel als Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise ausgemacht. In seiner Predigt am Ostersonntag im Berliner Dom sagte er: „Zahllose Menschen haben sich wie die drei Frauen am Morgen des Ostersonntags aufgemacht. Sie sind auf der Suche nach einer neuen Ordnung. Sie wollen festen Boden unter den Füßen. Sie halten Ausschau nach einem Grund, der ihnen Sicherheit und Verlässlichkeit bietet, unabhängig von Geldsorgen und Wirtschaftskrise. Das Denken in kurzfristigen Gewinnerwartungen und Quartalsberichten soll abgelöst werden von langfristigen Prognosen und von nachhaltigen Strategien.“

Diese neue Bewegung, so Huber weiter, setze sich „andere Ziele als Gewinnmaximierung und Materialismus und der Sinn von milliardenschweren Zahlungen für die künstliche Verlängerung einer Wirtschaftslogik, die sich als nicht tragfähig erwiesen hat leuchtet immer weniger ein. Die Menschen fragen vielmehr nach Lebensformen und nach Ausgestaltungen wirtschaftlichen Handelns, die Nachhaltigkeit versprechen. Sie sehnen sich nach einem Wandel der Werte, nach dem Fest der Verwandlung.“

Der EKD-Ratsvorsitzende machte die christliche Osterhoffnung als wichtige Tugend bei der Bewältigung der gegenwärtigen Sorgen stark: „Dass wir durch Angst gelähmt werden, ist die größte Gefahr der gegenwärtigen Krise; eine christliche Lebenshaltung ist indessen dadurch geprägt, dass die Hoffnung stärker ist als die Angst.“

Huber warnte davor, immer nur wenige Einzelne für die krisenhafte Entwicklung verantwortlich zu machen: „Dass wir dabei nicht andere zu Sündenböcken machen, sondern auch die eigenen Fehler einräumen gehört jedoch ebenso zur christlichen Lebenshaltung. Vor allem aber ist sie dadurch bestimmt, dass sie nicht nur auf den eigenen Nutzen schaut, sondern sich an der Liebe zum Nächsten orientiert.“

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Predigt zum Karfreitag am 10.April 2009 von Bischof Dr. Wolfgang Huber

Predigt zum Karfreitag am 10.April 2009 von Bischof Dr. Wolfgang Huber

Bischof Dr. Wolfgang Huber

Predigt am Karfreitag, 10. April 2009

St. Marien, Berlin

Johannes 19,16-23

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus. Amen

I.
Jesus Christus ist tot. Das ist die Nachricht von Karfreitag. So kurz lässt es sich sagen. Eine Todesnachricht. Ein Name und die schroffe Ansage vom Ende.
Jesus Christus ist tot. Wir kennen solche Nachrichten. Manche eher aus der Ferne: Der Nachbar ist tot. Die ehemalige Mitschülerin ist tot. Die Frau des Bäckers ist tot. Oder ganz aus der Nähe: Die Freundin ist tot. Der Bruder ist tot. Der Vater ist tot. Aus der Zeitung, durch einen Anruf, bei einem Gespräch erfahren wir es: den Namen und die Ansage vom Ende.

Er ist tot. Das, was wir mit ihm erlebt haben, ist zu Ende. Das, was er uns bedeutet hat, kann nicht fortgeschrieben werden. Das, was wir mit ihm noch zu erleben hofften, wird ungeschehen bleiben. Solche Gedanken schließen sich an jede Todesnachricht an. Bilder entstehen, Erinnerungen tauchen auf, Fragen melden sich – wie es zu diesem Tod kam, was für dieses Leben kennzeichnend war, was man einander bedeutet hat. Ungesagte Worte rufen wir dem Toten nach; unausgesprochene Gebete denken wir ihm zu. Oft ist der Überbringer einer Todesnachricht der erste Gesprächspartner für solche ungesagten Worte und nachgetragenen Gebete.

II.
Der Überbringer der Todesnachricht am Karfreitag ist für uns heute der Evangelist Johannes. Wir haben seine Nachricht in der Evangeliumslesung gehört. Die Choräle aus Bachs Johannespassion haben diese Nachricht aufgenommen, vertieft und verstärkt. Der Evangelist Johannes trägt diese Nachricht schon in zweiter Generation weiter. Doch die Art, wie er die Ansage: „Jesus Christus ist tot!“ verarbeitet, ist dem Erleben der ersten Stunde ganz ähnlich.

Pilatus gab ihn hin, dass er gekreuzigt würde, und so geschah es. Sie kreuzigten ihn und nach quälenden Stunden neigte er sein Haupt und verschied.

Doch damit ist für den vom Tod des Herrn erschütterten Evangelisten noch nicht alles gesagt. So sachlich und nüchtern darf der Tod nicht sein, so darf man ihm nicht das letzte Wort lassen. Die Zeit muss stehen bleiben, oder wenigstens ausgedehnt und gefüllt sein, wenn der Gesandte Gottes, der Sohn Gottes stirbt, der, auf dem alle Hoffnung liegt, der, an dem die Rettung der Welt, die Versöhnung mit Gott hängt.
So beginnt Johannes, das Geschehen auf Golgatha mit Szenen und Bildern zu umgeben, die zu Jesus gehören, die ihn ausmachen und den Horizont zeigen, in den er gehört. Das Kreuz, das Symbol der Verlassenheit und des Verstummens, wird zum Schauplatz für ein bewegtes Treiben zu Füßen des Gekreuzigten. Drei Szenen ziehen unsere Aufmerksamkeit auf sich.

Mit Pilatus beginnt es, der Jesus im Verhör kennengelernt hat und ihn für unschuldig hält, den die Antworten des Angeklagten überraschten, wenn nicht sogar überzeugten. Dieser Pilatus tritt ans Kreuz. Ein Schild hat er dabei, das seine Sicht der Dinge festhält, ein Schild, das die Widersinnigkeit dieses Todes ansagt: Jesus von Nazareth – König der Juden. In drei Sprachen prangen diese Worte über dem Kreuz. Niemand soll sagen, er habe davon nichts gewusst. Nicht als Anklageschrift dient diese Tafel, sondern als weithin sichtbare Feststellung.

Sie soll deutlich machen: Pilatus erkennt nicht, was dieser Mann Todeswürdiges getan haben soll, den er nur auf das Drängen anderer und mit Rücksicht auf die eigene Karriere dem Kreuzestod ausgeliefert hat. Aber er versteht wohl auch nicht, dass er mit diesem Schild seinerseits zum Werkzeug Gottes wird. Pilatus wird zum ersten Zeugen. Er selbst verkündigt und deutet den Tod Jesu. Er weist die Welt darauf hin, was hier geschah. Jesus ist tot; dieser Tod wird in der ganzen Welt bekannt werden. Jesus, der auf einem Esel als sanftmütiger König in die Stadt einzog, dieses Gegenbild zu jedem Potentaten, wird nun vor aller Augen erhöht. Als König zeigt er sich auf paradoxe Weise: am Kreuz. Auch noch im Tod erweist sich Jesus als König, als Repräsentant seines ganzen, von Gott geliebten Volkes.

Eine zweite Szene unter dem Kreuz will der Evangelist unbedingt festhalten, so grotesk sie auch ist: Vier Soldaten, haltlos in ihrer Gier, abgestumpft durch Gewalt und Tod, die sich täglich mit ihrer Arbeit verbinden, ohne Ehrfurcht für die Opfer ihres Tuns, wenden sich dem Nachlass zu. Kleider und ein Gewand gilt es zu verteilen. Die Kleider werden zerschnitten, das Gewand verlost. Sie wissen nicht, was sie tun. Sie wissen nicht, wessen Besitz sie untereinander aufteilen. Sie wissen nicht, dass sie damit die Schrift erfüllen. Sie wissen nicht, dass sie Teil eines Geschehens sind, das sich auf den Spuren der langen Geschichte Gottes mit seinem Volk bewegt und an die Grundfesten der Geschichte überhaupt rührt. Jesus ist tot; dieser Tod entspricht dem Heilsplan Gottes für die Welt. Auch noch diejenigen, die ihn verachten, bezeugen, dass sich in ihm Gottes Heilsplan erfüllt.

Zu guter Letzt nimmt Johannes die Erinnerung an Jesu Leben auf, an die Menschen, die ihm nahe waren. Noch einmal zeigt sich seine Liebe zu den Menschen, seine Fürsorge und Nähe. Die Mutter, Verwandte und Freunde stehen dort, bleiben bei ihm in der Todesstunde. Ihnen wendet Jesus sich zu. Was die Soldaten in seiner Nähe trieben, hat ihm kein Wort entlockt. Aber der Anblick derer, die ihm nahe stehen, weckt ein letztes Mal seine fürsorgende Kraft. Er weist sie aneinander: „Passt aufeinander auf, nehmt einander an wie Mutter und Sohn. Lasst durch den Tod keine Lücke entstehen; tragt die Liebe weiter, die ich euch gegeben habe. Gebt dem Tod nicht das letzte Wort, sondern haltet euch an meine Worte und liebt einander, wie ich euch geliebt habe.“ Jesus ist tot; dieser Tod setzt Liebe frei. Darin setzt sich das Zeugnis Jesu fort.

III.
Drei Szenen, drei Botschaften.

Die Tafel, die Pilatus am Kreuz anbringt, macht deutlich: Auch noch im Tod zeigt sich Jesus als König, als Repräsentant seines ganzen, von Gott geliebten Volkes.
Die Soldaten, die um Jesu Gewand das Los werfen, bezeugen ungewollt: Auch noch diejenigen, die Jesus verachten, bezeugen, dass sich in ihm Gottes Heilsplan erfüllt.

Und der Dialog mit der Mutter und dem Lieblingsjünger stellt uns bewegend vor Augen: Dieser Tod weckt Liebe; darin setzt sich das Zeugnis Jesu fort.

Wie viel leichter lässt sich der Sinn des Todes Jesu in lebendigen Szenen begreifen als in bloßen Begriffen! Von diesen Szenen her lässt sich aber doch verstehen, in welchem Sinn wir den Tod Jesu als ein Opfer verstehen können. Nicht als ein Opfer, das Gott verlangt, damit er Wiedergutmachung empfängt für die Sünde der Menschen. Sondern als ein Opfer, das Jesus selbst bringt, ein Zeichen der Sündenvergebung, das niemals mehr übersehen werden kann. Deshalb wird er ans Kreuz erhöht, deshalb ist eine Hügel vor der Stadt der Kreuzigungsplatz, deshalb verkündet eine Tafel, was da geschehen ist: Der Repräsentant des Volkes, einer, der für die anderen steht, hat sich dahingegeben, damit alle gerettet werden. Nicht Gottes Zorn, sondern unser Ungehorsam wird versöhnt, das ist der Sinn des Lebensopfers Jesu.

In diesem Tod versammelt sich deshalb die Sprachwelt und Glaubenswelt des Volkes Israel und seiner Bibel. Alte Opfervorstellungen werden aufgenommen, denn sie sind ans Ziel gekommen. Deshalb wird der Tod Jesu auch mit dem Bild vom Sühnopfer erläutert. Dadurch wird deutlich: Um seines Todes willen und dank seiner Auferstehung von den Toden werden keine Menschen mehr dahingeopfert – um Gottes willen nicht! Das Ende alles Opferzwangs wird ausgerufen; niemals mehr sollen Henker ein ungenähtes Gewand verlosen.

Vor allem aber: Ein Zeichen der Liebe wird aufgerichtet. Denn dafür steht das Zeichen des Kreuzes bis zum heutigen Tag. Ich mag nicht so hart über die urteilen, die das Zeichen des Kreuzes um den Hals tragen, ohne sich darum besondere Gedanken zu machen. Denn auch sie machen sich, vielleicht sogar ungewollt, mit einem Zeichen der Liebe vertraut: Siehe, das ist dein Sohn; siehe, das ist deine Mutter. Nehmt einander an.

Eine Tochter hat sich von ihren Eltern getrennt, so wird mir in diesen Tagen erzählt. Welch eine Passion! Ins Leere läuft die Zusage: Siehe, das sind deine Eltern. Siehe, das ist eure Tochter. Wer geht den ersten Schritt? Wer lässt sich ein auf das Zeichen des Kreuzes, in dem sich unsere Lebenswege berühren und um Jesu willen treffen?

Um der Liebe willen stirbt Jesus. Doch wo bleibt die Liebe? Allzu oft wird sie ein Opfer der Gewalt. Auch in diesen Ostertagen schweigt die Gewalt nicht; wir wissen das. Auch wenn es sich um andere Länder handelt, sie rückt uns nahe. Denn wir Deutschen tragen kräftig dazu bei, dass sie sich ausbreitet. Als „Europameister des Waffenexports“ wurde unser Land in diesen Tagen bezeichnet; für mich wurde das zu einer Karfreitagsnachricht.

Von einem Jahr zum andern hat sich die Ausfuhr von Waffen aus Deutschland um dreizehn Prozent erhöht. Nun rangiert unser Land in dieser Art von Geschäften direkt hinter den USA und Russland, vor allen anderen europäischen Ländern. Krisengebiete unserer Erde werden dabei nicht ausgespart; eines Tages müssen Soldaten der Bundeswehr im Auslandseinsatz unter Umständen die Gewalt unterbinden, die mit deutschen Waffen verübt werden soll. Ein paradoxer Gedanke. Dass Deutschland „Exportweltmeister“ ist, braucht sich nicht gerade an Rüstungsexporten zu zeigen – ganz im Gegenteil. Denn unsere Aufgabe ist es, der tötenden Gewalt zuvorzukommen, nicht den Tod durch Waffengewalt herbeizuführen.

Es gibt Situationen, in denen einer die Folgen der Liebe am eigenen Leib zu spüren bekommt, ja für andere sein Leben lässt. Das bedenken wir am Karfreitag; denn Jesus gab sein Leben um der Liebe willen hin. Doch unsere Aufgabe ist es, dem Tod zuvorzukommen, nicht ihn herbeizuführen. Deshalb weist Jesus uns aneinander.

Siehe, das ist dein Sohn. Siehe, das ist deine Mutter. Amen.

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Kritik an den Waffen-Exporten Deutschlands: „Dem Tod zuvor kommen“

Kritik an den Waffen-Exporten Deutschlands: „Dem Tod zuvor kommen“

EKD-Ratsvorsitzender Wolfgang Huber kritisierte am Karfreitag Deutschland als „Europameister des Waffenexports“

Hannover. (red). 12. April 2009. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirchen in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, hat die europaweite Spitzenstellung Deutschlands in Sachen Waffenexport kritisiert. Huber sagte in seiner Predigt am Karfreitag in der St. Marienkirche zu Berlin: „Um der Liebe willen stirbt Jesus. Doch wo bleibt die Liebe? Allzu oft wird sie ein Opfer der Gewalt. Auch in diesen Ostertagen schweigt die Gewalt nicht; wir wissen das.

Auch wenn es sich um andere Länder handelt, sie rückt uns nahe. Denn wir Deutschen tragen kräftig dazu bei, dass sie sich ausbreitet. Als ,Europameister des Waffenexports‘ wurde unser Land in diesen Tagen bezeichnet; für mich wurde das zu einer Karfreitagsnachricht.“

Der Berliner Bischof bedauerte die Zunahme der Waffenexporte aus Deutschland innerhalb kurzer Zeit: „Von einem Jahr zum andern hat sich die Ausfuhr von Waffen aus Deutschland um dreizehn Prozent erhöht. Nun rangiert unser Land in dieser Art von Geschäften direkt hinter den USA und Russland, vor allen anderen europäischen Ländern.“ Huber kritisierte, dass auch „Krisengebiete“ von den deutschen Waffenexporten nicht ausgespart würden und warnte vor möglichen Folgen dieser Praxis: „Eines Tages müssen Soldaten der Bundeswehr im Auslandseinsatz unter Umständen die Gewalt unterbinden, die mit deutschen Waffen verübt werden soll. Ein paradoxer Gedanke. Dass Deutschland „Exportweltmeister“ ist, braucht sich nicht gerade an Rüstungsexporten zu zeigen – ganz im Gegenteil. Denn unsere Aufgabe ist es, der tötenden Gewalt zuvorzukommen, nicht den Tod durch Waffengewalt herbeizuführen“.

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